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Zeit (-ung)
Es war einmal, in einem Land... Nein, vielleicht fangen so manche Märchen an, aber nicht meines. Meines hatte einen viel verhängnisvolleren Anfang. Es war so: Wir hatten September, und es war ein typischer Altweibersommer-Tag, der schön war, ja, der einen wirklich an die Natur locken könnte, man sich dann aber wieder denkt, hach, man könnte sich auch mal so richtig schön entspannen... Und ich entschied mich, na? für das zweite. Was tut eine faule Menschenhaut nicht alles, um es sich wirklich gemütlich zu machen. Ich rückte mir meinen Sessel zurecht, schaltete den Fernseher ein, schob mir einen Stuhl für meine überanstrengten Füße zurecht, legte mir die Zeitung griffbereit neben mich auf den ordentlich auf Hüfthöhe gebrachten Tisch, eine Tasse, mit Milch gefüllt und der Vorsorge halber auch die passende Milchkanne dazu. Ich trank ein paar Züge. Tja, aber irgendwas fehlt da noch, dachte ich mir, stand auf und blieb mitten im Raum stehen - ach ja, die Fernbedienung für den Fernseher, das wichtigste Stück,...denn „Zappen“ bringt ja bekanntlich die Nerven auch wieder auf Hochtouren. Die Milch schmeckte gut und trank noch mehrmals. Doch genug davon, darum geht es mir eigentlich weniger. Eher um etwas anderes. Der Fernseher dudelte im Hintergrund, ich glaube es war Werbung, während ich mich meiner Zeitung widmete. Und als ich da so durch die Masse an Blättern blätterte, stach mir etwas ins Auge - nein, nicht so - mir fiel etwas auf. Obwohl es eigentlich mit das schlichteste auf der ganzen Seite war, es hatte etwas Anziehendes an sich. Und genau das meine ich, mein „Märchen“ begann nämlich damit:
„Lebenslustiges Pferd sucht neuen, liebenswürdigen, pferdefreundlichen, reitbegeisterten Besitzer. Wegen Zeitmangel abzugeben. Ist kein Problempferd! Absolut verlässliches, kinderliebes Tier. Mittleres Alter, gute Figur, gute GGA, schmiede- und verladefromm. Ist ein Spitzenpferd, aus Verpaarung von Champions! Tel.: .... (Platz vor Preis!) 1000 DM“
Ich las die Anzeige mindestens zehn Mal. Haben die eine Null vergessen hinzuschreiben? Wenn es kein Problempferd ist, wieso ist es dann so billig, noch dazu ein „Spitzenpferd“? Oder ist es ein Falabella? Aber selbst das wäre bei solchen Qualifikationen teurer als 1000DM! Die Anzeige ließ mich von da an nicht mehr in Ruhe, eine Nacht schlief ich drüber. Und frühs, während ich dasaß und gemütlich mein Frühstücksbrötchen mampfte, entschied ich mich. Ich hatte einen Halbzeitjob, verdiente genug um mich und einen vierbeinigen Freund durchzukriegen und ganz in meiner Nähe lag ein schöner Stall. Dort ritt ich schon viele Jahre. Ein eigenes Pferd? Und noch dazu so ein Traumpferd? Die Stallmiete war auch annehmbar. Ich rief dort an.
„Ja Bitte?“ kam es vom anderen Ende der Leitung. „Ja, Guten Tag, ich bin Herr Rotte, ich rufe wegen der Anzeige an. Sie war gestern im Bereich „Tiermarkt“. Wegen dem Pferd.“ „Achso. Ja. Sie sind der erste der anruft. Ich dachte schon, ich hätte irgendwie etwas Falsches hingeschrieben.“ „Der Erste??“ gab ich erstaunt zurück. „Jaja, Sie haben mich schon richtig verstanden.“ Ich überlegte. War da doch etwas faul dran? Da müssten wenigstens einige Reitställe angerufen haben. Oder aber ich kenn mich in der Pferdeszene doch nicht so gut aus, wie ich immer zu glauben wagte? „Sind Sie noch dran?“ fragte die zarte Frauenstimme nach. „Klar bin ich noch dran. Ich hab nur überlegt. Und warum verkaufen Sie es?“ „Wegen Zeitmangel. In der Anzeige stand es doch auch schon drin.“ „Oh, ‘tschuldigung, das hab ich vergessen.“ „Ach, das macht schon nichts. Haben Sie Interesse an dem Pferd?“ „Ja, hätte ich. Ist es ein Hengst oder eine Stute?“ „Ein Hengst. Macht das was? Ich meine, Sie könnten ihn ja noch legen lassen, wenn Sie wollen, aber eigentlich ist er ein ganz braver.“ „Nein, das ist nicht der Rede wert, ich komme mit Pferden eigentlich gut zurecht. Ich würde ihn gerne mal in Natura sehen, ginge das?“ „Ja, natürlich, wieso nicht. Er freut sich immer auf neue Personen, so kommt es mir zumindest vor. Ich hätte eigentlich fast immer Zeit. Schlagen Sie ruhig etwas vor. Ich wohne in Waltdorf.“ Dieser Ort war nicht weit weg von Maienhof, wo ich wohne, also würde ich mit einer kurzen Fahrtzeit rechnen können. „Prima. Das ist nicht so weit weg. Ich wohne in Maienhof. Wäre Morgen Nachmittag in Ordnung?“ fragte ich. „Natürlich. Das wäre super. So um drei Uhr?“ sagte sie und erklärte mir ausführlich den Weg, hätte einer nach ihrer Erklärung den Weg nicht gefunden, so wäre er ein Volltrottel gewesen. „Okay, also abgemacht, Morgen um drei Uhr, ja?“ fragte ich vorsichtshalber noch mal nach. Sicher ist sicher. „Ja, ich freu mich schon auf Sie.“ „Ja, ich mich auch - ach ja, ich hab das ganz vergessen zu fragen. Mit wem hab ich denn die Ehre?“ „Oh, ‘tschuldigung, das war auch mein Fehler, ich hab mich ganz vergessen vorzustellen. Ich bin Annette Walser.“ „Okay, bis morgen dann Frau Walser, darf ich ihn dann auch mal Probereiten?“ „Aber natürlich. Auf Wiedersehn Herr Rotte.“ „Wiedersehn.“ damit beendete ich das Gespräch und legte auf. Ich denke, hätte ich nicht Schluss gemacht, hätten wir noch eine halbe Stunde ´Auf Wiedersehn` gesagt.
Der Wecker klingelte. Ich sah auf die Uhr. Sechs Uhr. Shit schon wieder aufstehen. Ich raffte mich auf, meine Arbeit rief. Ich gesellte mich vor den Spiegel und wurde, wie jeden Morgen, ruckartig von meinem Spiegelbild geweckt. Mein braunes, ca. 5cm langes Haar lag wieder zerstrubbelt in alle Richtungen, daran sah man deutlich, wie gut ich geschlafen hatte... Ich rubbelte meine Augen, die durch das helle Licht geschockt waren. Ich begutachtete sie, sie hatten eine grau-rostbraune Farbe, je nachdem wie das Licht war, Mahagoni oder Kupfer - so sagten zumindest einige. Ich fand es war ein „Hundeblick“. Aber egal. Mit Kamm und Gel kämpfte ich gegen meine Haare und gewann den Krieg sogar. Ein Wunder, was nicht immer stattfand. Das Badezimmer hatte ich nach den allmorgendlichen „Säuberungen“ verlassen und saß gedankenversunken am Esstisch. Ich war drauf und dran ein Pferd zu kaufen! Ich schüttelte meinen Kopf. Ich hätte lieber spazieren gehen sollen. Dann hätte ich die Zeitung erst abends gelesen, und hätte dann das meiste überflogen... Es war dreiviertel sieben. Ich machte mich schließlich auf den Weg zur Arbeit.
Ein Uhr. Langsam verließ ich meine Arbeitsstelle. Wieder strahlte mir die Sonne mit einem verheißungsvollen „Lächeln“ entgegen. Es war toll. Hätte ich gewusst, dass mich keiner beobachtet, hätte ich ein paar Luftsprünge gemacht. Mir war einfach danach. Aber ich ließ es. Sonst würde ja doch jeder denken ich wäre - na ja, verrückt. War ich das nicht? Egal. Ich stieg in mein Auto und brauste heimwärts. Eine viertel Stunde später hatte ich mein Auto vor meinem Haus geparkt. Die nächste Stunde wollte einfach nicht vergehen. Ich hatte mir meine Reitklamotten schon sorgfältig zurecht gelegt, die Reitkappe natürlich daneben. Ich ließ mich in den Sessel plumpsen. Zappte durchs Programm des Fernsehers und schaute 5 Minuten bei der, und dann bei der anderen Talkshow zu. So ein Gelaber. Mein Bauch kribbelte wie mit 1000 Schmetterlingen gefüllt - furchtbar. Und das, worauf ich wartete, kam auch schon kurze Zeit später. Ich musste aufs Klo. Das ist bei mir immer so, sobald ich aufgeregt bin. Ich sah auf die Uhr. Viertel Drei und der Zeiger rückte auch absolut kein Stück. Als ich wieder in meinem Sessel saß, sah ich wieder auf die Uhr. Kaum fünf Minuten sind vergangen. Okay - mir reicht’s, ich fahr jetzt los. Und wenn ich eben zu früh bin. Lieber zu früh als zu spät. Als ich, in meinen Reitsachen, schließlich im Auto saß, fühlte ich ein erleichterndes Gefühl. Ich schaltete mein Radio an und trällerte laut mit. Irgendwie musste ich meine Aufregung abreagieren. Es half auch einigermaßen. Die Straße schlug gleichmäßige Schlenker, mal eine Kurve nach links, und ein halbe Drehung nach rechts. Es war dreiviertel Drei, noch zirka fünf Minuten und ich würde da sein. Das ging, es würde nicht gar zu überpünktlich aussehen.
Aber scheinbar ging es ihr genauso wie mir, als ich in den Hofeingang einbog, lief sie schon aus dem Haus heraus, sichtlich etwas aufgewühlt. Ich hielt mein Auto an und stieg aus. „Hallo. Frau Walser? Oder Fräulein?“ fragte ich. „Ja, die bin ich. Hallo. Fräulein, aber mir ist das eigentlich egal.“ „Okay, Fräulein. Und wo haben Sie den Prachtburschen versteckt?“ Sie lächelte mich an. „Nee, versteckt hab ich ihn nicht, kommen Sie mit. Er steht hinterm Haus. In seinem Offenstall.“ Sie lief voraus. Tolle Frau, dachte ich. Schlank, keine Bohnenstange, mit weiblichen Formen. Schönes Gesicht. Aber eigentlich war ich ja wegen dem Pferd hier. „Dort steht er.“ sagte sie und zeigte auf ein in der Ferne stehendes Pferd. „Wow.“ entwich mir. Meine Knie wurden weich. Das war mir bei noch keinem Pferd passiert. Ich legte meine Hand an die Stirn gegen die leicht blendende Sonne. „Na, hab ich zuviel versprochen?“ fragte sie. Das einzigste was ich antworten konnte war: „Zu wenig.“ Erstaunt sah sie mich an. Ich blinzelte gegen die Sonne zurück. „Ich meine das Ernst. Er ist toll. Könnten Sie ihn mal holen?“ „Klar.“ Ein lauter Pfiff durchhallte die Stille. Der Hengst blickte auf. Schaute ein paar Sekunden zu uns herüber und kam dann in einem imposanten Trab auf uns zu. Schnaubend blieb er vor mir stehen und blickte mit aufgeweckten Augen auf mich herab. „Wie heißt er?“ „Freezing Point“ „Ha, der passt. Gefrierpunkt. Bei ihm gefriert einem wirklich das Blut in den Adern.“ „Von der Seite hab ich das noch gar nicht betrachtet.“ „Von welcher denn?“ fragte ich. „Nein, nur das ich mir über den Namen noch nie so richtig Gedanken gemacht habe.“ Wir betrachteten kurz den vor uns stehenden Hengst, und im Umriss sah ich, wie sie mir zustimmend zunickte. „Wollen wir ihn rausholen und zum Reiten fertig machen?“ sagte sie schließlich. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. „Aber ja. Was ist er für eine Rasse? Englisches Vollblut würde ich tippen.“ „Fast richtig getippt. Oder besser gesagt: Stimmt schon. nur sein Opa mütterlicher Seite ist ein Araber. Also 75% Englisches Vollblut und 25% Arabisches Vollblut.“ Sie schlüpfte unter dem Gatter durch und halfterte ihn. Erwartungsvoll stupste er sie in die Seite. Ich öffnete das Gatter und ließ sie durch. Ich folgte ihr zum Innenhof, wo sie Freezing Point schließlich anband. Ruhig und auch ohne nur mit der Wimper zu zucken blieb er stehen. „Würden Sie vielleicht mitkommen und mir beim tragen des Zubehörs helfen?“ „Klar doch.“ Ich folgte Fräulein Walser in die Sattelkammer. Ordentlich sortiert und sauber aufgehängt fand ich Putzzeug, Zaumzeug, Gamaschen, Sattel und Decke vor. Er hatte es hier ideal. Okay, vielleicht bringt es ihm nicht viel, wenn die Sattelkammer ordentlich ist, aber Ordentlichkeit zeugt auch von Sauberkeit. Denn das Zubehör war wirklich in einem hervorragenden Zustand. Ich schnappte mir Sattel und Trense und folgte ihr wieder hinaus. Dort blieb ich stehen. Ich musterte den prachtvollen Hengst. Sein fuchsfarbenes Fell glänzte Seiden in der Sonne. Seine ausgeprägte Blesse betonte seinen leicht geschwungenen Kopf. Die vier weißen Socken verliehen ihm ein imposantes Aussehen und verstärkten jeden Schritt mit Eleganz. „Ist irgendwas?“ fragte Fräulein Walser. Ich erwachte aus meinen Tagträumen. Und merkte jetzt, wie ich die ganze Zeit auf das Pferd gestarrt hatte. „Nein, nein, ich hab nur sein Aussehen auf mich wirken lassen.“ „Das hat man gesehen.“ Sie schmunzelte. Ich erwiderte nichts darauf, lief schließlich auf Freezing Point zu und legte den Sattel auf die eigens dazu angebrachte Sattelablage. Die Trense hing ich an den Halter. „Hätten Sie was dagegen, wenn ich ihn putze? Ich möchte gern wissen wie er im Umgang ist.“ fragte ich schließlich. „Das hätte ich sowieso Sie machen lassen, damit Sie Gefühl für ihn kriegen.“ „Na dann ist doch gut.“
Fröhlich machte ich mich daran sein sowieso schon auf Hochglanz gebrachtes Fell zu putzen. Was bei diesem Fellzustand eigentlich keine Mühe machte. Leicht fuhr ich mit der Kardätsche über seine Schulter und merkte wie sorgsam mich der Hengst beobachtete. Nachdem ich seinen ganzen Körper gleichmäßig behandelt hatte, machte ich mich daran seine Mähne zu bürsten. Auch dabei fiel mir wieder auf, wie ordentlich gepflegt er war. Als ich mich zum Hufe auskratzen leicht nach unten bückte und an seinem Vorderbein entlang strich, hob er schon von alleine seinen Huf, obwohl ich gerade das Kommando zum Heben geben wollte. Alles im allem war ich jetzt schon begeistert von Freezing Point. Als ich ihm den Sattel auflegte blieb er ruhig stehen - was nicht bei jedem Pferd in meinem Reitstall der Fall war. Beim Trensen senkte er liebenswürdigerweise seinen Kopf, würde er dies nicht tun, hätte sein „Frauchen“ garantiert Probleme beim Trensen bekommen, da er ein ziemlicher Riese war. Doch bei meiner Größe (1,87m) machte mir das wenig aus. Mir war seine stattliche Größe sogar Recht. Im Gegensatz zu den Pferden im Reitstall hätte ich hier dann nicht das Gefühl auf einem Pony zu sitzen. Dann legte ich die Gamaschen an und überprüfte noch einmal die Gurtlänge und gurtete nach. „Wollen sie im Gelände, oder lieber, na ja, auf der eingezäunten Wiese reiten? Die Wiese habe ich als Paddock im Winter und als Reitplatz umfunktioniert.“ „Ich glaube vorsichtshalber verzichte ich aufs Gelände.“ „Bei ihm bräuchten Sie sich keine Sorgen zu machen. Nur das ich leider kein zweites Pferd habe, um Sie zu begleiten.“ Langsam lief Fräulein Walser neben mir her und zeigte mir den Weg zum „Platz“. Obwohl er eigentlich bloß eine Wiese war, sah er ordentlich gepflegt und sauber aus. Wer soviel Zeit in die Pflege des Pferdes, Zubehör und eigentlich in alles was mit ihm zutun hat, steckt, der muss eigentlich genug Zeit haben. Wieso also will sie so ein Traumpferd loswerden? Ich hatte den Platz erreicht und ging hinein, sie schloss die Tür hinter mir. Ich setzte meine Reitkappe auf und verschloss sie gut. Langsam führte ich ihn ein, zwei Runden und gurtete ein zweites Mal nach, stellte die Steigbügel auf meine Länge und schwang mich schließlich sachte in den Sattel - auf alles gefasst. Doch es passierte nichts. Wie es sich gehört ließ ich ihn warmlaufen und dehnen, ehe ich ihn schließlich zu einigen Lektionen veranlasste. Wechsel von Schritt in Trab, Trab in Schritt, Halten aus dem Trab und wieder antraben, angaloppieren und aus dem Galopp halten. Dann wieder aus dem Schritt galoppieren. Jeder Übergang funktionierte reibungslos. Auf einmal flog neben ihn eine Plastiktüte auf. Ein kurzer Schreckens-Tapser, jedoch nicht zur Seite oder woandershin und ein kritischer Blick zur Tüte, ließ ihn die ganze Sache auch wieder vergessen. „Er kann auch noch springen.“ meinte sie tonlos. „Wirklich?“ meinte ich erstaunt, und fragte mich insgeheim was der hübsche Knabe noch alles verbarg. „Ja, er ist bis leichte M ausgebildet worden. Aber ich denke mir mal, er würde auch ohne Mühe noch mehr schaffen. Er hat den Elan dazu.“ Ich blickte sie erstaunt an. Ich hatte schon Springunterricht genommen, aber ich selber bin mit den Pferden vom Reiterhof nicht weiter als bis L gekommen. Was aber auch schon ganz gut war. Freezing Point könnte sozusagen mein Lehrer werden für weiteres. Ich hatte mich nach zwei weiteren, gleichmäßigen Runden im Galopp entschieden. So schnell würde er mich nicht wieder los sein. Er ist das Pferd, wovon ich immer geträumt habe.
Zirka eine halbe Stunde später stand Freezing Point wieder in seinem Offenstall mit angrenzender Wiese. Ich betrachtete ihn. Ein Prachtkerl von einem Pferd. „Haben Sie sich entschieden?“ fragte dieselbe zarte Frauenstimme wie gestern am Telefon. „Wenn Sie wollen können Sie mich auch duzen, ich heiße Xerxes.“ bemerkte ich abwesend. „Oh, gerne. Du kannst mich auch duzen. Das ist ein seltener Name.“ Ich hatte nicht zugehört. „Entschuldigung, wie bitte?“ „Du hast einen seltenen Namen. Und du kannst mich auch duzen.“ „Ja, das stimmt. Frag mich aber nicht wie meine Eltern darauf gekommen sind.“ „Fragen dich denn nicht manchmal welche, ob du woandersher kommst, oder deine Eltern?“ Ich schaute sie an. Sie sah irgendwie geschafft aus. „Selten, aber manchmal schon. Aber ich bin Deutscher durch und durch. Ist aber nicht so schlimm, das du mich das gefragt hast.“ „Hast du dich entschieden?“ Ich überlegte kurz und war mir schließlich sicher. „Ja, doch ich nehme ihn, aber da ich noch nicht wusste, ob deine Beschreibung zutrifft, habe ich im Reitstall noch nicht wegen einem Unterstellplatz gefragt. Das müsste ich erst, also würde sich die ganze Sache noch mal um ein paar Tage verschieben, ehe alle Formalitäten geklärt wären. Außerdem wolltest du dir sein neues Zuhause sowieso anschauen, oder?“ „Ja, das möchte ich. Ich will wissen ob mein Schatz ein gutes Zuhause bekommt.“ „Also werden wir es am besten so machen, ich werde mich wegen dem Unterstellplatz erkundigen und alles klären, dann geb ich dir Bescheid und du kannst vorbeikommen und dir alles ansehen. Und dann werden wir weiter sehen. Einverstanden?“ „Ja, das ist die beste Lösung. Dann rufst du mich noch mal an?“ „Ja, ich melde mich bei dir. Bei den tausend Mark bleibt’s?“ „Sowieso.“ Wir besiegelten den Kauf noch nicht, denn ich wusste nicht ob Annette mit dem Stall einverstanden wäre.
Auf dem Heimweg erinnerte ich mich gerne an den Ritt in der Bahn zurück, einfach das beste Pferd - unbeschreiblich. Doch das nächste Problem kam schon am selben Abend, als ich den Stallbesitzer anrief. „Wir haben keine Plätze mehr frei.“ War die Antwort auf die Frage nach einer Mietbox. Ich war erschüttert. Was nun? Würde mir mein Traumpferd einfach durch die Lappen gleiten? Deswegen zerbrach ich mir die ganze Zeit den Kopf. Schließlich, obwohl es schon halb zehn abends war, entschied ich mich Annette anzurufen. „Ja bitte?“
es war Annette. Und wieder einmal hatte ich das letzte Wort. Verträumt ließ ich mich in meinen Sessel gleiten. Ab morgen hätte ich mein Traumpferd - er war reell und er hieß Freezing Point.
Die Arbeit verging
wie im Flug, obwohl ich eine Überstunde machte, und ich fuhr schon gleich nach
der Arbeit Richtung Waltdorf. Meine Reitsachen hatte ich auf meinem Rücksitz
gelagert. Vielleicht könnte ich mich dort umziehen. Die 1000DM hatte ich
natürlich dabei. Dort angekommen, wartete Annette schon auf mich. Ich stieg aus
meinem Opel Astra aus und begrüßte sie sogleich. „Umarm ihn doch ruhig. Mir macht das nichts aus, aber er bleibt doch sowieso hier.“ „Ja. Aber es ist was anderes, wenn er einem selbst gehört und wenn er jemandem anderen gehört.“ „Bis jetzt ist er noch dir.“ „Ja, und die letzten Minuten will ich noch genießen.“ „Annette?“ „Ja?“ „Darf ich dich mal etwas fragen? Du brauchst nicht zu antworten, nur wenn du willst.“ „Aber klar doch.“ „Warum gibst du ihn wirklich ab? Ich meine, hier ist alles so gut gepflegt, da musst du doch genug Zeit haben um dich um alles zu kümmern.“ „Du hast gesagt, ich kann antworten, wenn ich will?“ „Ja.“ „Okay, ich will nicht antworten. Aber es hat nichts mit ihm zutun.“ „Okay, aber ich fand eben, das du so geschafft bist.“ Sie überhörte diesen Kommentar. Zu Recht, es ging mich ja auch nichts an. „Ich habe das Geld dabei, und für jeden von uns eine Quittung.“ wechselte ich das Thema. „Okay, ich hole nur schnell die Papiere von Freezing Point, solange kannst du ja das Geld und die Quittungen holen.“ Sie ging Richtung Innenhof und verschwand im Haus. Ich für meine Person, machte mich auf den Weg zu meinem Auto. Im Hof trafen wir uns schließlich. Wir besiegelten den Kauf mit einem kräftigen Händedruck und ich verließ den Hof schließlich als glücklichen Pferdebesitzer.
Zuhause angekommen machte ich mich daran, schließlich seine Papiere zu durchforsten. Besonders gut kannte ich mich in der Englischen Vollblutzucht nicht gerade aus, denn viele der Namen kannte ich nicht, geschweige denn ich hätte sie überhaupt schon mal gehört. Dann fiel mir die Ankaufsuntersuchung ein. Die hatte ich komplett vergessen. Egal, noch am selben Abend rief ich einen mir gut vertrauten Tierarzt an, und bat ihn, mich morgen zu begleiten und ihn allgemein durchzuchecken. Er stimmte zu. Und so kam ich am nächsten Tag mich fachlicher Begleitung auf dem Hof an. Zirka eine Stunde später versicherte er mir die beste Gesundheit des Hengstes, außerdem flüsterte er mich noch zu, das ich geradezu ein Schnäppchen gemacht hatte. So verließ er dann mit seinem Wagen den Hof und ich blieb allein zurück. Annette war scheinbar nicht da, und so begab ich mich hinter zu seinem Auslauf. Dort stand er und zupfte an dem saftig sprießenden Gras. Er hob kurz den Kopf, als ich mich an seinen Koppelzaun lehnte, ließ sich jedoch nicht weiter stören. Ich holte mir den Apfel aus meiner Hosentasche und schlüpfte unter dem Gatter hindurch. Langsam steuerte ich auf ihn zu. Ich gab ihm den Apfel, den er genüsslich zermalmte und kraulte ihn noch eine Weile an den Ohren. Schließlich verließ auch ich den Hof.
Die nächsten Monate vergingen nur zu schnell, ich und Freezing Point wurden schnell dicke Freunde und meisterten uns auch im Reiten ganz gut. Annette sah ich selten, und wenn ich sie sah, war sie kurz angebunden. Wenn ich am Wochenende genug Zeit hatte, setzte ich mich in die Sattelkammer und pflegte sein Sattelzeug, bis ich schließlich eine Idee hatte. Entweder ich würde eigne Hindernisse bauen, oder aber ich würde mich beim Springunterricht im Reitstall melden und würde Freezing Point dann jedes Mal hinfahren. Ich entschied mich dafür, welche aus dem Katalog zu bestellen. Das war die einfachste und billigste Art. Es dauerte eine knappe Woche und die Hindernisse waren geliefert worden. Sie waren hübsch und leicht, weil sie aus Plaste waren. Ich begann mit der niedrigsten Stufe und die meisterte Freezing Point mit Leichtigkeit. Ich konnte also ohne Mühe die Hindernisse jedes Mal um einiges erhöhen. Dies tat ich bis zu der Höhe, bis wohin ich sie gelernt hatte. Ab dann behielt ich die Höhe bei und baute kleine Parcours auf, oder ich ritt mit ihm ins Gelände und steuerte umgefallene Baumstämme an. Alles in allen hielt ich es sehr abwechslungsreich - so sah ich es zumindest. Manchmal kam ich auch einfach nur mal, um ihn zu putzen oder mit ihm spazieren zu gehen. Er genoss es. Ich auch. Dann meldete ich uns beide für den Springkurs an. Den Hänger und das Auto konnte ich für den Mittwoch immer problemlos leihen. Und auch für meinen Freezing Point war es kein Problem, er ging in den Hänger, als wenn es schon immer so gewesen sein müsste. Und die Springstunden, für mich, für ihn ja weniger, brachten für ihn auch wieder etwas Abwechslung. Natürlich brachte es für ihn auch eine gewisse Bewunderung.
...einige Monate später...
Es war soweit. In Jackett und weißer Reithose stand ich neben meinem ebenso geschniegelten Pferd. Seine Mähne war ordentlich eingeflochten und mit weißem Klebeband gehalten, Sodas sein graziöser Hals durch die weißen Kügelchen noch verstärkt wurde. Er glänzte in der Sonne und seine Augen schauten interessiert dem ganzen Turniertreiben zu. Die weiße Plakette, mit der Startnummer, leuchtete, wenn er seinen Kopf bewegte. Ich war aufgewühlt, und wurde es von Minute zu Minute immer mehr, Annette stand neben mir und versuchte mich zu beruhigen. Der einzigste, der hier noch am ruhigsten war, war Freezing Point. Seit dem letzten halben Jahr war viel passiert. Zwischen mir und Annette entwickelte sich eine Beziehung, und als Gesellschaft für Freezing Point kaufte ich eine Pferdedame. Die beiden verstanden sich auf Anhieb blendend. Tja, und ein Fohlen war auch schon unterwegs. Enigma hieß sie, das bedeutet so viel wie Rätsel, und war ebenfalls ein Englisches Vollblut. Sie war ein Rappe ohne jegliche Abzeichen und ebenso ein Engel wie Freezing Point. „Xerxes, deine Gruppe ist gleich dran! Du musst jetzt zum Aufwärmen! Und mach dich nicht fertig, Schatz, du schaffst das schon! Ihr beide wart im Training immer wundervoll!“ weckte Annette mich aus meinen Gedanken. „Ja, ich geh ja schon, ich hab ein Gefühl im Magen, hm, ich halts nicht aus. Aber okay, ich geh zum Aufwärmen, und wenn ich auf dem Pferd sitzt, ist sowieso alles in Ordnung!“ „Genau, also los! Toi, toi, toi! Du schaffst das!“ Wir küssten uns. Langsam bewegte ich mich Richtung Aufwärmplatz, hindurch durch das ganze Gewusel. Ich startete bei einem L-Springen, es waren insgesamt 10 Hindernisse zwischen 1,10m und 1,20m, dabei waren zwei zweifache Kombinationen und eine dreifache. Der Weitsprung war 1,30m breit und 1,10m hoch. Das Doppelrick, die kleine Mauer und der Oxer waren annehmbar und dürften den Pferden nicht allzu schwer fallen. ‘Auf geht’s!’ dachte ich mir und schwang mich auf Freezing Point, zumindest für seine 1,70m dürften die Hindernisse kein Problem sein, zumal er auch schon höheres gewöhnt war. Ich absolvierte einige Trabrunden nach fünf minütigen Aufwärmen und steuerte auf das Probehindernis zu, machte Freezing Point darauf aufmerksam, kam näher, drückte meine Schenkel weiter an seinen Bauch und gab die Zügel etwas länger - und schon flogen wir über das Hindernis. Zufrieden klopfte ich seinen Hals und kraulte seinen Mähnenansatz, während ich ihn noch ein paar Runden im Trab laufen ließ und schließlich zu einer Runde Galopp anspornte. „Jetzt startet Antje Taler auf Amourosi. Als nächstes am Start ist: Xerxes Rotte auf Freezing Point.“ schallte es durch die Lautsprecher. Das war mein Name, jetzt wird’s ernst. Ich verließ den Abreiteplatz und schaute der Amazone vor mir zu. Sie ritt gut und hatte auch eine gute Zeit, als sie den Platz verließ, vier Fehlerpunkte hatte sie. Wieder schallte es durch den Lautsprecher: „Jetzt startet Xerxes Rotte auf Freezing Point. Danach startet Mark Friedrich auf Nordpol.“ Nicht aufregen, dachte ich, du reitest jetzt auf die Wiese und dann geht alles ganz automatisch... Langsam trabte ich mit Freezing Point auf den Parcours und ritt noch ein paar Kurven im Galopp, dann ertönte die Glocke. Ich nahm die erste Hürde ins Visier, die müsste einfach sein, 1,10m und eigentlich so, wie in der Reitschule. Und ich nahm sie auch so wie in der Reitschule: fehlerlos. Weiter ging es zum Doppelrick, mit der gleichen Höhe und auch dieses überwand Freezing Point ohne große Mühe. Eine leichte Rechtskurve und weiter ging es zur ersten zweifachen Kombination, der erste Sprung maß zirka 1,15m und der zweite wieder 1,10m, etwas mehr konzentrieren mahnte ich mich. Ich spürte die gleichmäßigen Bewegungen unter mir, wie bei einem Schaukelpferd. Das Hindernis kam immer näher. Ich knetete die Mähne von Freezing Point, er stellte die Ohren nach hinten, ich trieb ihn an, gab die Zügel etwas nach, und schon war auch diese Hürde passé. Ich Landung klang leicht und dumpf. Er steuerte schon das nächste an, ich versammelte ihn leicht um ihn perfekt vors Hindernis zu bringen, es klappte, leicht stieß er sich ab und landete auch bald auf der anderen Seite. Die kleine Mauer war das nächste, 1,15m hoch, und Freezing Point meisterte sie mit Leichtigkeit. Nun kam eine scharfe Linkskurve und wir steuerten auf ein Kreuz zu mit einer Stange obendrüber, dieses Hindernis maß zirka 1,10m. Ich hatte mich nicht genug konzentriert und Freezing Point streifte leicht die Stange, doch sie fiel nicht. Eine weite Linkskurve und vor uns lag die dreifache Kombination, jetzt muss ich aufpassen, ich muß Freezing Point auf die richtige Galoppsprunglänge zwischen den Sprüngen bringen. Der erste war wieder 1,10m der zweite 1,20m und der dritte 1,15m. Er zuckte leicht mit den Ohren, ich redete ihm gut zu und er legte die Ohren wieder ruhig nach hinten, um auf meine Befehle zu hören. Das erste schafften wir leicht, dann zügelte ich ihn und ich merkte zu spät, das ein Galoppsprung zuviel da wäre, Freezing Point schob sich zusammen und sprang im letzten Augenblick noch über den Sprung, doch streifte er mit einem Fuß die oberste Stange und sie fiel mit einem >Klong< herunter. Doch ich dachte nicht daran und konzentrierte mich auf den Aussprung aus der Dreifachen. Das Hindernis ging wieder leicht zu überwinden. Den Weitsprung und den darauf folgenden Oxer meisterte Freezing Point wieder fast von ganz alleine, dann kam wieder ein Kreuz und als letztes eine zweifache Kombination. Ich verlangsamte ihn und trieb ihn am Absprungspunkt an und gab ihm die Zügel länger, er landete und auf einmal war der Hals weg, ich spürte wie ich dem Boden näher kam und plötzlich...
...hörte ich Stimmen. Ganz leise im Hintergrund. Sie flüsterten, ich wusste nichts mehr, ich verstand sie nicht. Doch dann: „Er kommt zu sich, ja, sehen Sie, er bewegt die Augen!“ Ich fühlte mich wie betrunken. Wo war ich? Wer war das? Ich sah nicht viel, alles war verschwommen. Ich flüsterte: „Annette? Wo bin ich?“ „Was sagt er da?“ fragte eine Stimme. Eine andere, auch unbekannte Stimme erwiderte: „Lassen Sie nur, das ist normal, man phantasiert dann immer ein bisschen.“ Ich schrie: „Verdammt noch mal! Wo bin ich? Annette?! Was ist hier los? Wo ist Freezing Point?“ „Beruhigen Sie sich, junger Mann.“ Jemand redete zu mir, ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. „Ich sehe nichts!“ rief ich wieder. „Oh, Entschuldigung, einen Moment, bleiben Sie ruhig liegen, das haben wir gleich.“ Ich spürte ein Ziehen, und auf einmal war es hell, verdammt hell. Ich kniff die Augen zusammen. Dann gewöhnten sich meine Augen langsam an die Umgebung. Ich sah mich um. Krankenhaus. Eindeutig. Ich lag im Krankenhaus. Um mich herum standen verschiedene Leute. Wahrscheinlich Ärzte und Krankenschwestern, und meine Mutter. Annette war nicht da. „Was, was ist..?“ „Was passiert ist?“ unterbrach mich sogleich ein Arzt. „Tja, mein Herr, das ist eine lange Geschichte. Aber wenn Sie wollen kann ich sie Ihnen in Kurzfassung geben.“ „Ja, gerne.“ Doch anstatt des Arztes, begann meine Mutter zu erzählen. „Xerxes, du erinnerst dich hoffentlich. Es war voriges Jahr im September, da war ein so schöner sonniger Tag.“ „Ja, doch, ein bisschen.“ „Mein Junge, du warst kurz nach der Arbeit bei mir, dann bist du heimgefahren und mir fiel ein, das ich vergessen hatte, dir etwas zu sagen. Was jetzt aber nicht mehr wichtig ist. Ich rief dich Zuhause an. Da ging keiner dran. Und dein Handy, aber selbst da gingst du nicht dran. Ich war beunruhigt.“ „Aber ich war doch Zuhause?!“ „Gleich mein Junge, gleich, ich bin auch noch nicht fertig. Also fuhr ich zu dir. Klingelte und klopfte an. Aber keiner kam.“ „Aber, aber..“ ich verstand nicht, ich war doch zu Hause und hab gelesen. Meine Mutter erzählte weiter: „Ich rief die Polizei an, sie sagten mir, ich wäre verrückt, so einen Aufstand um einen erwachsenen Sohn zumachen. Und sagten ich müsste bezahlen, wenn es falscher Alarm wäre. Aber es war gut, dass ich mich durchsetzte. Denn als die Polizisten die Tür aufgebrochen hatten, fand ich dich auf dem Sessel. Du warst knallrot und bluteste aus der Nase und so rief ich die Ambulanz.“ „Aber, wieso, ich ..?“ Nun war es aus, das konnte gar nicht sein. Der Arzt übernahm das Gespräch. „Ja, mein Herr Rotte, so war es. Wir untersuchten Sie und stellten fest, das Sie eine lebensbedrohliche Vergiftung hatten.“ „Aber von was?“ fragte ich, obwohl ich der ganzen Sache noch nicht traute. „Von der Milch, Xerxes, ich fand dich, und neben dir stand eine leere Kanne, du hattest sie komplett leer getrunken.“ sagte meine Mutter. „Daran kann ich mich erinnern, sie hat sehr gut geschmeckt.“ „Viele Ihrer inneren Organe waren beschädigt, wir wussten nicht, ob Sie das überleben würden. Deshalb mussten wir Sie in ein mehr oder weniger künstliches, aber auch teils natürliches Koma legen. Wir hatten um Sie gekämpft, das ganze letzte Jahr, Operation nach Operation. Aber wir haben es geschafft, sogar ihr Augenlicht konnten wir retten.“ „Aber wie, was? Ich lag das ganze letzte Jahr im Koma? Was ist mit Annette? Wo ist Freezing Point?“ „Ja, Herr Rotte, das ganze letzte Jahr. Bei dem Rest müssen Sie sich an Ihre Mutter wenden.“ Er sagte etwas zu meiner Mutter und die gesamte Ärzteschaft verließ mein Zimmer. „Mama.“ sagte ich. „Stimmt das?“ „Ja, Xerxes, es ist alles wahr, ich hatte mir so Sorgen um dich gemacht. Ich dachte...“ Ich grübelte. „Soll ich dich vielleicht alleine lassen?“ „Ja bitte Mutter.“ Sie verließ das Zimmer. Ich...ich war fertig. Annette? Ein Hirngespinst? Oder gab sie es doch wirklich. Oder träumte ich das hier doch nur? Was ist mit Freezing Point? Bin ich gestürzt und schlafe nur, und das ist ein Traum, woraus ich gleich aufwache? Mir kamen die Tränen. Nein, nein, nein das konnte nicht wahr sein, mein Leben war so toll! Ich hatte Freezing Point, Annette, Enigma und bald das Fohlen. Wieso? Konnte es so was nicht mal wirklich geben? Ich schlief wieder ein. Vielleicht würde ich aufwachen und Annette steht neben mir.
Ruckartig wachte ich auf. Es war dämmerig, gleich würde es Frühstück geben, draußen klapperte das Geschirr und man hörte Leute hin und her laufen. Ich dachte nach. Wieder einmal. Dann kam ein Geistesblitz. Begann das Gift zuwirken bevor ich begonnen hatte Zeitung zu lesen, oder erst danach? Eine Schwester kam zur Tür herein. „Hallo! Wie geht es Ihnen heute?“ fragte sie fröhlich. „Ich antworte Ihnen lieber nicht. Können Sie meiner Mutter sagen, sie soll heute unbedingt vorbeikommen?“ „Aber gerne mache ich das.“ Sie verließ das Zimmer wieder.
Einige Stunden später kam meine Mutter zur Tür herein. Sie konnte mich gar nicht begrüßen, denn ich überhäufte sie schon mit Fragen. „Hallo Mama! Wie hast du mich gefunden? Hatte ich die Zeitung in der Hand? Hatte ich schon begonnen zu lesen? Wo ist die Zeitung? Kannst du sie mir bringen?“ „Na, na, na, nicht so eilig. Hallo erstmal. Ich glaube, du hattest die Zeitung schon in der Hand, oder sie war schon aufgeschlagen. Aber wo die Zeitung ist, kann ich dir nicht sagen, und wenn? Warum ist sie so wichtig?“ „Bitte, Mama. Das verstehst du nicht. Ich brauch sie. Kannst du nicht mal zu mir fahren und schauen, ob sie noch dort ist, oder irgendwo liegt? Bitte!“ „Wow, sie muss dir viel bedeuten, okay, ich mach mich auf den Weg und schau nach. Ich bring sie dann gleich her, okay?“ „Danke, Mama. Du bist ein Schatz.“ Sie ging wieder. Ungefähr zwei Stunden später kam sie mein Zimmer gelaufen. In der Hand die Zeitung. Mein Herz machte Freudenhüpfer. „Da ist die Zeitung, mein verrücktes Kind.“ „Danke Mama, ich liebe dich.“ „Tut mir leid, wenn ich dich jetzt schon wieder verlasse, aber ich muß zur Arbeit.“ „Ist schon okay. Tschüs Mama!“ „Tschüs! Bis morgen, Xerxes.“ Wie von Sinnen blätterte ich die Zeitung auf: Tiermarkt
„Lebenslustiges Pferd sucht neuen, liebenswürdigen, pferdefreundlichen, reitbegeisterten Besitzer. Wegen Zeitmangel abzugeben. Ist kein Problempferd! Absolut verlässliches, kinderliebes Tier. Mittleres Alter, gute Figur, gute GGA, schmiede- und verladefromm. Ist ein Spitzenpferd, aus Verpaarung von Champions! Tel.: .... (Platz vor Preis!) 1000 DM“
Mein Herz machte Hüpfer. Würde es Freezing Point und Annette wirklich geben? Würde alles so werden, wie ich es mir vorgestellt hatte? Ich rief an. „Ja Bitte?“ kam es vom anderen Ende der Leitung. „Ja, Guten Tag, ich bin Herr Rotte, es hört sich jetzt wahrscheinlich blöd an, aber ich rufe wegen der Anzeige an. Sie war voriges Jahr im September im Bereich „Tiermarkt“. Wegen dem Pferd.“ „Hä? Achso. Ja. Sie sind der erste der anruft. Ich habe wahrscheinlich irgendetwas Falsches hingeschrieben.“ „Der Erste??“ gab ich erstaunt zurück. „Jaja, Sie haben mich schon richtig verstanden.“ Ich überlegte. Die Geschichte hatte auf mich gewartet, sie muss ihn scheinbar noch haben. Ich war glücklich. „Sind Sie noch dran?“ fragte die zarte Frauenstimme nach. „Ja natürlich. Und sie haben ihn, äh, es noch?“ „Woher wissen Sie, das er ein er ist? Aber egal, ja, er steht noch bei mir.“
Ich durfte also auch einmal der Prinz im Märchen sein.
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