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Ein Pferd namens Weihnacht
Jaqui betrat den Stall. Die warme Luft mit dem wohligen Geruch von Pferden und Heu kam ihr entgegen. Sie schloss leise die Tür und sah sich um, niemand da. So konnte sie unbemerkt an dem großen Weihnachtsbaum vorbei huschen und sich in die Box ihrer geliebten „Great Glory“ gesellen. Die Stute stellte die Ohren nach vorne, als sie sie erkannt hatte prustete sie in Jaqui’s Haar, ging einen Schritt vor und schnoberte nach Leckerlis. Jaqui schob ihr einen geteilten Apfel in das Maul, den sie genüsslich zermalmte, Glory schloss dabei die Augen sanft und brummte leise vor sich hin – so wie sie es auch beim Putzen immer machte. Jaqui musste grinsen und legte den Arm um den Hals ihrer Stute. Sie drückte ihr Gesicht fest in das seidige Fell, sog den Duft ein und entspannte sich sofort. Glory schaute Jaqui an, nachdem sie losgelassen hatte, dann strich Jaqui sanft über den stark gewölbten Bauch, legte das Ohr an und hörte ganz leise, pochende Schläge, dazu ein kräftigeres, lauteres. Sie strahlte. Glory schaute herum und beobachte erstaunt was da vor sich ging. Jaqui lehnte sich an die Wand und hörte zu – den Geräuschen im Stall: Malmendes Kauen, dösendes Schnauben, wohliges Brummen, knisterndes Rascheln.
Die Tür ging auf, langsam schloss sie sich wieder. „Jaqui? Bist du hier?“ Oh nein, bloß nicht, dachte sie. Wie jedes Jahr zu Weihnachten gab es Streit. Sie freute sich nie darauf, nie hatte sie dieselbe Festtagsstimmung, wie die anderen in der Klasse. Ihre Freundinnen schwärmten immer von dem Festtagsbraten, den vielen Geschenken und dem gemütlichen Beisammensein, vom wohligen Kerzenschein und süß duftenden Plätzchen. Pah. Warum konnte sie sich nicht einmal freuen? Na ja, unsre Familie eben. „Jaqui, bitte, mach nicht so ein Gezeter draus! Du weißt ganz genau dass wir Geld verdienen müssen mit der Zucht! Ja, okay, sie gehört dir, aber das Fohlen können wir nie behalten!“ Jaqui drückte sich an die fuchsfarbene Flanke, vergrub das Gesicht im Fell und weinte bittere Tränen. Sie hörte Schritte vor der Box, Glory brummelte sanft und begrüßte Jaqui’s Vater. „Jaqui...“ Er kam herein, nahm seine Tochter, drückte sie an sich und beruhigte sie. Mit seiner rauen Stimme sprach er leise auf sie ein. „Komm, Jaqui, komm wieder zu uns, muss es denn jedes Mal Streit geben? Außerdem musst du noch dein eines Geschenk auspacken...“ „Mir egal.“ murmelte sie. Er nahm sie an der Schulter, und schob sie aus der Box, beide verließen dann den Stall Richtung Wohnhaus.
Resigniert saß sie in der Gesellschaft der Weihnachtsgäste. Den Nachbarn, die den Hengst besitzen, von dem Glory trächtig ist, musste sie notgedrungen zulächeln. Dann ihre Großeltern die vertieft ins Gespräch mit ihren Eltern waren und ihre beiden kleineren Brüder, die freudestrahlend am Boden saßen und mit ihren Lastern und LKWs spielten. Wenigstens ein paar sind glücklich. Achja, und ihre große Schwester mit ihrem Freund, wieder mal geschäftig am rumknutschen. Jaqui’s Geschenke lagen noch sorgfältig verpackt unterm Weihnachtsbaum, heute würde sie sie nicht mehr anrühren. Irgendwie war ihr die Lust vergangen. Es war nun elf Uhr durch, sie sagte sie sei müde und ging in die Richtung wo ihr Zimmer lag. Sie ging schlurfend die Treppen nach oben, zog sich um und ließ sich niedergeschlagen ins Bett fallen. Sie schaute aus dem Dachfenster, sah die Sterne funkeln, den Mond leuchten und die Dunkelheit der Nacht legte sich über ihre aufgeriebenen Nerven und beruhigte sie. Sie stand wieder auf, öffnete das Fenster. Die kristallklare Luft drang in ihre Lungen, strömte auf ihr tränennasses Gesicht. Es roch wohltuend nach Schnee, es war richtig hell draußen.
Sie hörte ein Pferd wiehern. Sie fröstelte. Das Fenster war noch auf, Jaqui sah sich um, sie muss eingeschlafen sein. Sie stand auf und wollte das Fenster schließen, da drang wieder ein nervöses Wiehern an ihr Ohr. Jaqui zweifelte keine Minute, sie konnte nervös und normal unterscheiden und merkte das etwas nicht stimmen konnte. Sie zog sich schnell eine Jeans über und rannte in den Stall, schnappte das Licht an. Sie atmete auf, schon mal kein Qualm. Sie lauschte und bemerkte nervöses Scharren, Schnauben und Rascheln. Sie ging die Boxen entlang. Dann sah sie Glory. Verschwitzt stand sie da und schaute irgendwie erleichtert als sie Jaqui sah. Sie knickte ihre Beine ein und legte sich sanft ins Stroh, hob den Kopf um nach der in der Boxentür stehenden Jaqui zu sehen. Glory wieherte beruhigt als sie sich zu ihr kniete und die Schulter streichelte. Jaqui schaute kurz, sah die Vorderbeine schon herausragen, ein kleines Wunder in weißer Hülle. Sie merkte das rhythmische Atmen und Pressen der Stute, Stück für Stück schob sich der kleine Pferdeleib aus Great Glory heraus.
Dann plumpste das Fohlen sanft ins Stroh, Jaqui lobte Glory, aber begab sich dann so schnell wie möglich zum neuen Leben, die Fruchthülle war schon gerissen und das Fohlen hob langsam den Kopf. Jaqui entfernte den Rest. „Jaqui, wunderbar, wie hast du das bemerkt?“ Sie war so vertieft gewesen, dass sie ihre Eltern nicht kommen hörte. Jaqui antwortete nicht, diese Situation machte ihr nur zu schmerzlich bewusst, das sie dieses vor ihr liegende Fohlen hergeben muss. Sie nahm Stroh in die Hände und rieb langsam die Feuchtigkeit aus dem pechschwarzen Fell. Eine kleine Stute, Jaqui musste trotz dessen grinsen. Glory war in der Zeit aufgestanden, begann sanft den kleinen Pferdekörper mit ihrer Zunge zu massieren, sie beschnupperte es ausgiebig und stupste es an. Jaqui stand auf und betrachtet die Szene von der Boxenwand aus. Ihre Eltern gesellten sich zu ihr. Sie ließ sich nichts anmerken, betrachtete fasziniert wie die Kleine versuchte aufzustehen. Ihre Eltern schauten Jaqui an und fragten sie „Willst du der Kleinen keinen Namen geben?“. Gereizt antwortete Jaqui: „Wie denn? ‚Ich-muss-dich-eh-hergeben’ oder was?“ Jaqui schaute weg, unterdrückte ihre Tränen, ihre Eltern zeigten ihr einen mit silbernem Geschenkpapier eingefassten Umschlag. „Mach wenigstens dieses Geschenk auf wenn du den Rest nicht haben willst!“ Genervt riss sie das Papier ab, öffnete den Umschlag, sah die Weihnachtskarte mit dem Pferd drauf. Jaqui wollte die Karte gerade wutentbrannt wegwerfen, doch ihr Vater hinderte sie daran. „Lies sie, bitte.“
„Liebe Jaqui, Fröhliche Weihnachten! Deine Eltern
Jaqui verstand erst nach dem dritten Mal Lesen, was drin stand. Sie weinte – vor Glück, sie fiel ihren Eltern um den Hals, dann blickte sie sich um, sah nach IHREM Fohlen. Sie lachte. Breitbeinig stand das Stutfohlen da, versuchend das Gleichgewicht zu halten und wieherte Jaqui entgegen. „Weißt du nun wie sie heißen soll?“ fragten ihre Eltern. „Ja“, sagte Jaqui und küsste dabei der stolzen Mutter Great Glory auf die Stirn, „das ist mein erstes richtig schönes Weihnachtsfest – Glory XMas!“ Jaqui ging auf das wackelnde Etwas zu und schloss es freudig in die Arme „Willkommen!“.
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