Zusammen

 

Wie ein einziger grauer Streifen rauschten die Leitplanken an ihr vorbei. Alles war verschwommen. Aber es regnete nicht, nein, die Sonne strahlte vom blauen Himmel, und die Bäume entlang der Autobahn standen in vollem Grün. Nein - es regnete nicht - sie weinte.
Ein wunderbares Leben hatte sie jetzt hinter sich gelassen. Alles war wie im Traum gewesen. Aber auch der schönste Traum hörte irgendwann mal auf - und so ist es auch gewesen.

 

Eines Abends "überraschten" (besser gesagt schockierten) ihre Eltern sie mit der neuen Nachricht. Ihre Mutter hatte eine Arbeit gefunden, aber leider weit weg. Und wie in einem Schock durchfuhr Isabelle diese Nachricht, denn genau der Satz, den sie als nächstes vermutet hatte, kam dann auch: "Das heißt, wir müssen umziehen."
"Wohin?" fragte Belle entgeistert. "Eben weit weg, Belle, und außerdem ist das nicht so eine ländliche Gegend wie hier..."

Mehr Fragen waren überflüssig. Sie rannte in ihr Zimmer, schmiss sich aufs Bett und weinte. Was würde aus Vonda werden, ihrem geliebten Araber? Und Shake, ihrem lieben Beagle? Nein, sie wollte nicht weg von hier! Hier hatte sie Freundinnen und Kumpels, einen lieben festen Freund und dann ihre beiden Tiere!

Aber es kam, was kommen musste. Als sie nach dem Mittagessen ihrer Mutter beim Abwaschen vom Geschirr half, sagte diese zu Isabelle: "Belle, wir müssen Vonda wegbringen. Shake können wir ja mitnehmen, aber nicht Vonda ..." Isabelle ließ den Teller fallen, den sie gerade abtrocknete. Es klirrte laut auf dem gefliesten Fußboden.

Sie rannte aus der Küche. "Belle...!" rief ihre Mutter noch hinter ihr her. Aber Belle verschwand, nachdem sie den Hof überquert hatte, in der Scheune. Dort nahm sie die Trense, zäumte Vonda, machte das Hoftor auf und schwang sich auf ihren Rücken. Shake stand neben ihr, wedelte mit dem Schwanz und bellte. "Ja, komm mit. Komm Shake!" sagte Belle. Dann ritt sie weg, immer dicht gefolgt von Shake. Von oben betrachtete sie ihre schokoladenbraune Stute. Nicht unbedingt ein Prachtbild von Araber, aber der edle Kopf verriet ihre Rasse. Die schmale Blesse, die Isabelle jetzt zwar nicht sehen konnte, und die lange schwarze seidige Mähne sahen toll aus. Eine große Wiese breitete sich vor den dreien aus. Sie trieb Vonda zu einem scharfen Galopp an. Stürmisch presste diese die Wiese entlang. Belle fühlte sich, als würde sie schweben. Die lange Mähne peitschte bei jedem Galoppsprung vor ihrem Gesicht auf und ab. Leider musste Isabelle Vonda jetzt wieder bremsen.
Sie schaute sich um und wartete auf Shake, der mit wehenden Ohren hinterher gerannt kam. Belle hatte eine Caprihose an und es war toll, das samtige Fell an den nackten Beinen zu spüren. Sie ritt noch zirka 2 Stunden, ehe sie sich auf den Heimweg machte.

Zuhause, nachdem sie Vonda und Shake gründlich versorgt hatte, erzählte ihre Mutter weiter. "Es tut mir ja leid, Belle, aber es geht nicht anders. Es muss alles sehr schnell gehen. Morgen kommt der Transporter und holt sie. Willst du wissen, wohin sie kommt?" "Nein, danke. Dann mach ich mir nur unnötig Gedanken! Wann reisen wir ab?" "In zirka zwei Tagen, Schatz."

In diesen 2 Tagen regelte Belle das meiste. Sie verabschiedete sich von ihrem Freund, den ganzen Freundinnen und Kumpels. Versprach, das sie ihnen schreiben würde und noch viel mehr.

Aber der Abschied von Vonda, war der Schlimmste. Sie konnte kaum hinsehen, als Vonda in den Hänger ging. Als schließlich die Verladeklappe zuging und Isabelle nur noch das schokobraune Hinterteil von ihrer geliebten Stute sah, brach sie in Tränen aus. "Neeeiin!!" schrie sie immer wieder. Irgendwann war der Transporter verschwunden. Ihr Vater setzte sich zu ihr, nahm sie in die Arme und wollte sie trösten, aber Belle entwand sich dem Griff und verschwand in der Scheune...

 

Wenn sie daran zurückdachte, kamen ihr sofort die Tränen wieder. Und jetzt schien die verdammte Sonne, als würde sie die ganze Zeit lächeln. Immer noch säumten die Leitplanken die Autobahn, immer noch rauschten sie vorbei wie ein einziger grauer Streifen. Nach einiger Zeit wurden die Leitplanken seltener, bis sie normale Landstraßen befuhren.
"Belle..." sagte ihre Mutter, "...macht es dir was aus, wenn wir erst woandershin fahren?" "Mir egal." Und es war ihr wirklich egal.

Nach einiger Zeit bogen sie in einem Stallgebäude ein. Belle schaute sich verärgert um. 'Erst nehmen sie mir Vonda weg und dann wollen sie mir verkorksten Reitschulunterricht andrehen!' dachte Isabelle vor sich hin. "Isabelle!" Verträumt sah sie zu ihrer Mutter. Sie hatte ihr gar nicht zugehört. "Hörst du mir überhaupt zu? Ich ruf dich schon die ganze Zeit!" "Nein, ääh - ja, ach, ist ja auch egal. Was ist denn?" "Ich möchte dass du kurz mit in den Stall kommst, ich will wissen ob er dir gefällt." "Pff! Ist mir doch egal!" "Bitte, stell dich nicht so quer!" sagte ihr Vater. Schließlich ließ sie sich doch noch überreden, mit in den Stall zu gehen.

 

Und wen sie da sah, war unglaublich.
"VONDA!" schrie sie und stürmte zu der Box. Doch sie blieb davor stehen - Vonda gehörte nicht mehr ihr. "Warum streichelst du sie nicht?" fragte ihr Vater. "Sie ist nicht mehr mir..." sagte Isabelle enttäuscht. "Ach, ich denke der Besitzer hat nichts dagegen." sagte ihre Mutter. Nun wurde sie ja doch neugierig. "Wer ist denn der neue Besitzer?" "Es gibt keinen neuen!"

"Häh? Aber - aber - ..., sie ist noch mir?!" "Ja klar noch! Wir können unserer Tochter doch nicht den liebsten Schatz wegnehmen!" "Aber ich dachte ihr wolltet sie wegbringen." "Ja, wegbringen haben wir gesagt, aber nicht verkaufen! Du wolltest uns ja nie richtig zu hören. Und wegen dem einen Umzug ein Auto mit Anhängerkupplung zu kaufen, wäre auch sinnlos gewesen."

Ihre Mutter breitete die Arme aus - bereit, umarmt zu werden. Doch statt ihrer Mutter, fiel Belle ihrem Pferd um den Hals.

"Meine Vonda!" sagte sie. Von draußen hörte sie das aufgeregte Bellen von Shake, der immer noch im Auto saß. "Ja, Shake,..." sagte sie zu sich selbst. "... du und Vonda, ihr gehört zusammen - und zwar für immer.